Von der Absatzwirtschaft zum Marketing

Alles super
Der Kunde ist König - aber nicht souverän. Er weiß nicht immer, warum er kauft, was er kauft. Unzählige Einflüsterer umwerben ihn, versuchen gar, ihn zu verführen. Welche Strategien entwickeln die Marketingspezialisten? Wo werden wir umworben? Was bindet uns an Produkte? Auf den Spuren der Kundenfänger

Manchmal geht Werbung auch nach hinten los. Für ihre Joghurts hat die Molkerei Ehrmann lange mit dem Slogan "Ehrmann - keiner macht mich mehr an" geworben. Über den Grad der Begehrlichkeit entscheidet dabei allerdings einzig die Betonung. Liegt sie auf "mehr" - wie in den TV-Spots -, ist alles in Butter. Für den Einsatz in Zeitschriften und Zeitungen zeigte der Slogan aber rasch Schwächen. Der unbedarfte Leser betont das Wort "keiner" - und verkehrt die Werbebotschaft damit ins Gegenteil.

Ähnlich erging es der Stadt München. Die warb einst mit dem Spruch "München wird modern". Spötter betonten allerdings nicht wie gewünscht das "e" in "modern", sondern das "o". Der Spruch von der "Weltstadt mit Herz" stellte sich dann als weitaus unverfänglicher heraus.

Schmunzelfälle wie diese sind für die Marketingbranche alles andere als eine Lappalie. Wenn wir, die Konsumenten, eine Werbebotschaft nicht verstehen oder, schlimmer noch, lustig finden, was ernst gemeint war, haben die Werbeprofis versagt. Und das ist für die Betroffenen gar nicht mehr witzig. Schließlich geht es schnell um mehrere Millionen Euro, um Werbekonzepte, die eilig verworfen und neu aufgebaut werden müssen.

Die Strategien, ein Produkt an den Mann oder die Frau zu bringen, beginnen weit vor der Werbung. Auf Deutsch wurde das mal Absatzwirtschaft genannt. Inzwischen hat sich aber der englische Marketing weltweit durchgesetzt. Er beschreibt laut Lexikon die "Planung, Koordination und Kontrolle aller auf die Mörkte ausgerichteten Unternehmensaktivitäten mit dem Zweck einer dauerhaften Befriedigung der Kundenbedürfnisse einerseits und der Erfüllung der Unternehmensziele andererseits."

In Klammern darf man aber getrost dazufügen, dass ein geschicktes Marketing längst auch dafür sorgt, Kundenbedürfnisse zu wecken, die es ohne Marketing gar nicht gegeben hätte. Die Werbung ist immer das wirksamste Marketing-Instrument.

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Wer hätte sich je einen "Snickers" - Schokoriegel mit Puffreis gewünscht? Und trotzdem gibt es ihn. Der herkömmliche "Snickers" mit öligen Erdnüssen, zähem Karamell und anderen süßen, schokoladigen Zutaten lag den Marketingexperten angesichts des grassierenden Wellness-Wahns der Fit-for-fun-Generation offenbar so schwer im Magen, dass sie ihrem Produkt Erleichterung verschaffen wollten. "Snickers Cruncher" war geboren, der mit dem Puffreis. Leichter, lockerer, zeitgemäßer als das Original.

Damit müsste auch die Hamburger Werbeagentur Jung von Matt zufrieden sein. Die in Branchenkreisen angesehene Agentur fordert "Nanu-Effekte". Der neue Schokoriegel muss also diejenigen überraschen, denen der herkömmliche "Snickers" immer zu viel und schwer war. Das Überraschungsmoment muss die Werbung transportieren.

Das es beim Marketing im Grunde nur darum geht, Kunden ein Produkt zu verkaufen, soll moderne Werbung verschleiern. Das funktioniert mit einem Trick: Eine Bohrmaschine zum Beispiel macht Löcher. Mehr nicht. Sie ist ein dröges Produkt ohne jedes Flair. Moderne Werbung weiß das und tut deshalb so, als ob es gar nicht darum geht, eine Bohrmaschine zu verkaufen. Stattdessen erzählt die Werbung den Kunden beispielsweise, dass sie Zeit und Geld sparen können, wie sie bewundert werden und neue Freunde gewinnen. Das sind Kaufanreize, die Männer in Baumärkte treiben. Nicht Löcher bohren.

"Die Leute sind süchtig nach Identifikation", hat der Münchener Kunstwissenschaftler Walter Grasskamp festgestellt. Früher sie diese Sucht durch Politik und Religion abgedeckt worden. Die Identifikation gab es dort meist kostenlos.

An die Stelle von Politik und Religion sind heute geschickt vermarktete Produkte getreten. Markenprodukte besetzen Ideen, die sie dann ersetzen. Wer jung ist und dazugehören will, braucht einfach den Rucksack von Eastpak, den Pullover von Fila, die Schuhe von Adidas und Schlabberhosen von Southpole. Eltern können ein mehrstrophiges Klagelied davon singen. Denn Markenartikel sind natürlich teuer. Selbst Kinder im Grundschulalter wissen inzwischen, dass man mit Fruchtzwergen Freunde findet.

Glaubt man der Werbung, dann verkauft auch der Schweizer Hersteller Swatch nicht etwa Uhren, sondern die Idee der Zeit. Wer Nike-Turnschuhe kauft, will nicht in erster Linie die Latschen haben, sondern sich mit dem Image identifizieren dürfen, das ihm die Werbung von Nike-Trägern vermittelt.

Sportlich, jung, cool. Und bei IBM geht es selbstverständlich nicht um schnöde Computer und Software. Nein, Problemlösungen werden angeboten. Und wer sagt dazu schon nein?

Selbst Autohersteller habes es längst aufgegeben, an den technischen Sachverstand der potenziellen Käufer zu appellieren. Viel mehr wird das Gefühl angesprochen. Mit einem Auto sichert sich der Käufer heute Freiheit, Individualität und Mobilität. So pries denn der damalige Audi-Chef Franz-Josef Paefgen im vergangenen Jahr nicht etwa PS- oder Zylinderzahl bei der Vorstellung des neuen Modells Avantissimo.

Er geriet ins - wohl kalkulierte - Schwärmen: "Der neue Audi hat Muskeln wie ein Hochleistungssportler, aber er trägt kein Muscleshirt, sondern einen Anzug aus feinstem Zwirn". Klar, ein Auto im Anzug, das ist Kokolores. Wer gibt seinen Wagen schon in die Reinigung - oder zum Kunststopfen? Dennoch dürften sich zumindest die Männer unter den Zuhörern sofort angesprochen gefühlt haben. In Gedanken haben sie sofort im neuen Audi Platz genommen und sich vorgestellt, was das für ein Gefühl ist, mit einem eleganten Kraftpaket über einsame Bergstraßen zu jagen.

Sollen doch Soziologen die neue Ich-Bezogenheit der Menschen feststellen, die Werbung greift auch diesen Trend auf. Was ist die Ursache, was Wirkung? Dass Werbung die gesellschaftlichen Werte beeinflusst, leugnet niemand. Vorabendserien geben das neue Lebensgefühl vor: Gute Zeiten, schlechte Zeiten - wichtigstes Gesprächsthema ist heute, wie man sich fühlt. Und die Werbung sagt einem dann, wie man sich belohnt oder tröstet: Das "Essen fürs Ich" (Milram) ist im Kommen, "weil ich es mir wert bin" (L`Oreal). "Man gönnt sich ja sonst nichts" (Malteserkreuz Aquavit), und mein Wohlfühl-Pulli ist selbstverständlich Lenor-gespült.

Wenn der Kunde endlich sein Portemonnaie gezückt hat, hört Marketing aber noch lange nicht auf. Eine Betreuung nach dem Kauf wird immer wichtiger, sagt der hannoversche Wirtschaftswissenschaftler und Marketing-Experte Thorsten Hennig-Thurau. "Früher hat man sich keine Gedanken darüber gemacht, wer kauft und ob er es schon einmal getan hat." Mit dem Beziehungsmarketing, englisch: Customer Relationship Management, habe "ein Paradigmenwechsel" stattgefunden. "Inzwischen weiß man, dass es teurer ist, Kunden von Konkurrenten abzuwerben, als die eigene Stammkundschaft zu pflegen."
Also wurden landauf, landab Clubs, Call-Center und Kundenzeitschriften ins Leben gerufen. Bonusprogramme wie Payback und Happy Digits tun ein übriges. "Kunden emotional an ein Unternehmen zu binden, schafft Preisspielräume", erläutert Hennig-Thurau. Kaum ein Produkt kommt noch ohne aufgedruckte "Kunden-Hotline" aus. Das soll suggerieren: Fragen und Beschwerden nehmen wir ernst, und wir setzen alles daran, den Wünschen unserer Kunden gerecht zu werden.

Klingt toll. Aber wer schon einmal sein Glück bei einer Hotline versucht hat, legt den Hörer meist zorniger auf, als er ihn abgehoben hat. "Das ist ein großes Dilemma für ein Unternehmen", sagt Hennig-Thurau. "Die Ansprüche der Kunden entwickeln sich schneller, als die Unternehmen nachkommen können." Mit den Hotlines sei den Kunden eine individuelle Betreuung vorgegaukelt worden.

Meist reichen einfache rhetorische Kniffe aus. Es lohnt sich beispielsweise immer, den Kunden zu loben. Wenn Psychologen sagen, "Lob macht abhängig", nicken die Marketingexperten: Nicht ohne Grund beginnt jede Gebrauchsanweisung mit der Floskel "Wir beglückwünschen Sie zu Ihrer Entscheidung...". Deswegen gilt es auch als plump, dem Kunden am Telefon beispielsweise mit einem "Danke für Ihren Auftrag" Unterwürfigkeit vorzuspielen. "Danke für Ihr Vertrauen" hat da eine ganz andere Wirkung.

Tatsächlich sind die Telefonistinnen im Call-Center aber mit den vielfältigen Wünschen oft überfordert. Ihre Auftraggeber wissen das. Das Call-Center soll meist nur beschwichtigen, Anfragen bündeln und möglicherweise auch weiterleiten. Ein wirkliches Eingehen auf spezielle Kundenbedürfnisse ist teuer und unter einer 0180- oder 0800-Nummer in der Regel nicht zu bekommen.

So viel zum Marketing. Es gibt aber tatsächlich auch das Gegenteil. Als De-Marketing werden die Tricks verstanden, mit denen ein Unternehmen einen unliebsamen Kunden wieder loswird. Zumindest in den Call-Centern erscheinen die Grenzen zwischen den Bereichen fließend.
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